Wenn sich der Lauf verläuft - Warum und wie sich Passantenströme ändern können
Eine exakte Definition der so oft zitierten 1A-City-Lage ist nirgendwo festgehalten.
Nach allgemeinem Branchenverständnis fängt der für den innerstädtischen Einzelhandel besonders attraktive Bereich dort an, wo das Mietniveau sprunghaft ansteigt und zahlungskräftige Filialbetriebe dominieren.
Diese wiederum folgen in der Regel meist nur einem ökonomischen Fixstern: der Passantenfrequenz. Ändern sich also die Laufwege der Konsumenten, so hat dies direkte Auswirkungen auf die Lagebewertung und damit auch auf den Mietpreis einer Handelsimmobilie, was manchen Eigentümer überrascht.
Früher war die Welt noch in Ordnung
Die typische deutsche Fußgängerzone zeichnete sich dadurch aus, dass jeweils am Ende einer der großen Kundenmagneten wie Kaufhof, Karstadt & Co um Kunden warb.
Dazwischen lagen dann die kleinen und mittelgroßen (Fach-) Geschäfte als Profiteure der vom Warenhaus erzeugten Kundenfrequenz.
Dieses Prinzip gilt grundsätzlich auch heute, kann aber nur dann in die Planungspraxis umgesetzt werden, wenn der vollständige Durchgriff auf den Handelsplatz möglich ist wie bei den großen Einkaufscentern.
Deren Management setzt nach wie vor auf das „Hundeknochenmodell“, das an den beiden Enden einer Ladenzeile die mit Abstand größten Flächeneinheiten für Ankermieter wie z.B. H&M, C&A, Saturn oder Media Markt vorsieht.
Diese Filialisten wissen um ihre Bedeutung für das Wohl und Wehe eines erfolgreichen Centergeschäftes und beanspruchen beste Mietkonditionen.
Sind diese Verträge erst einmal unter Dach und Fach, so ist die Vermietung der übrigen Ladenlokale dazwischen meist kein Problem mehr, weil alle Voraussetzungen für eine auskömmliche Kundenfrequenz geschaffen sind.
In den traditionellen Fußgängerzonen der Innenstädte sind die Wegstrecken der einkaufenden Bevölkerung planerisch dagegen kaum steuerbar.
Mit der Vorhaltung von zentralen, kostengünstigen Parkplätzen ist allenfalls der Startpunkt einer Shoppingtour zu beeinflussen. Von da aus scheint sich der Passantenstrom wie von unsichtbarer Hand geführt in Richtung Stadtzentrum zu verlaufen.
Dort finden – zumindest in den Großstädten – regelmäßige Frequenzzählungen statt, wobei die Abweichungen unter den konkurrierenden Instituten zum Teil erheblich sind.
Wie verlässlich sind Frequenzzählungen?
Einvernehmen beim Ergebnis scheint wenigstens bei den beliebtesten Fußgängerzonen in Köln und München mit Spitzenwerten von über 14.000 Passanten/Std. am Samstagmittag.
In vielen anderen Städten mit über 100.000 Einwohnern lassen Ergebnisunterschiede mit mehr als 50 % Abweichung allerdings Zweifel an Methodik und Sinn solcher Untersuchungen aufkommen.
Unbestritten ist nur, dass das Gesamtniveau der Frequenzzählungen in kleineren Städten weit unter den o.g. Spitzenwerten rangiert.
Ein aktueller Bericht der IHK Hannover weist z.B. für Göttingens Toplage knapp 5.000, in Hildesheim und Bremerhaven sogar nur 2.500 Passanten/Std. aus. Eine Korrelation von Einwohnerzahl und innerstädtischer Frequenz ist demnach nicht erkennbar, wohl aber ein direkter Zusammenhang von Frequenz und Mietpreisniveau.
Und hier fängt nach den Beobachtungen von Domino das Dilemma an.
Denn innerhalb einer Top-Lage gibt es bei Detailanalysen immer wieder lokale Besonderheiten, die den Passantenlauf vor einem Ladenlokal – meist negativ – beeinflussen können und damit die Aussagekraft der pauschal ermittelten Passantenfrequenz aushebeln.
Ärgerlich, aber zeitlich zumindest überschaubar, sind z.B. alle Baumaßnahmen in der Fußgängerzone, etwa wenn Versorgungsleitungen erneuert werden müssen und entsprechende Tiefbauarbeiten direkt vor dem Ladenlokal über Monate hinweg zu Umsatzeinbrüchen führen.
Dann können auch Werbeaktionen mit den üblichen „Baustellenrabatten“ das Minus nicht wirklich kompensieren. Der Austausch des Straßenpflasters, etwa wenn die hässlichen Beton-Verbundsteine durch aufwändige Natursteinmosaike ersetzt werden, hat zwar ähnlich negative Auswirkungen auf den Einzelhandel, erhöht aber mittelfristig die Attraktivität der Fußgängerzone.
So genannte „Straßenmöbel“ wie Sitzbänke oder Kinderspielgeräte können sich ebenso als Frequenzbremse auswirken.
Einige Stadtverwaltungen lassen in Härtefällen mit sich reden und sind bereit, bei signifikanten wirtschaftlichen Einbußen des Einzelhandels ggf. Nachbesserungen vorzunehmen.
Leer stehende Einzelhandelsimmobilien schädigen den Nachbarsobjekten
Größere Probleme ergeben sich bei all denjenigen Einzelhandelsimmobilien, die jahrelang von der unmittelbaren Nachbarschaft zu Kaufhäusern profitiert haben, aber nach deren Schließung ohne Nachfolgenutzung nun plötzlich neben einer „Verkaufsruine“ angesiedelt sind.
Selbst wenn die Passantenfrequenz für die gesamte Länge der Fußgängerzone dort einen pauschalen Spitzenwert aufweist, so sind die direkt links und rechts neben einer 30-50 m breiten, leeren Schaufensterfront angrenzenden Ladenlokale plötzlich nur noch einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Miete wert, weil der Passantenlauf bereits ein paar Läden vorher auf die andere Straßenseite wechselt.
Dann beginnt für Mieter bzw. Vermieter in der Nachbarschaft eine Phase des Pokerns über etwaige Mietvertragsanpassungen.
In einigen Städten wurden aufgegebene Filialen von Karstadt, Hertie oder Wehmeier innerhalb kürzester Zeit umgebaut und an mindestens ebenso attraktive Ankermieter neu vermietet.
Es gibt in Deutschlands Fußgängerzonen aber auch noch viele ehemalige Kaufhauskomplexe, deren Leerstand den Mietern in den angrenzenden Ladenlokalen inzwischen tiefe Sorgenfalten in die Stirn treibt.
Die “Gastrofizierung” der Innenstädte
In den letzten Jahren zeichnet sich eine ganz neue Determinante mit Einfluss auf den Verlauf der Passantenfrequenz ab, wofür an dieser Stelle der Begriff der „Gastrofizierung“ eingeführt werden soll.
Diese Gastrofizierung der bundesdeutschen Fußgängerzonen ist im Wesentlichen das Ergebnis zweier Entwicklungen: Erstens verlagert sich der Zielkauf von lebensnotwendigen Konsumgütern immer mehr aus den Innenstädten heraus auf die Grüne Wiese oder er findet im Internet statt.
Der Konsum im innerstädtischen Einzelhandel reduziert sich zunehmend auf den spontanen “KannKauf“. Dazu braucht es ein Umfeld zum Verweilen, für Muße und Entspannung, also Plätze mit Bistros, Cafes oder Lounges, wo man das gerade erstandene Designerstück dem Umfeld präsentieren kann.
Zweitens führt die demographische Entwicklung zu immer älter werdenden, eigentlich gut situierten Konsumenten, die nichts mehr wirklich dringend brauchen und die die City eher als Ort des geselligen Beisammenseins betrachten. Auch dieser anwachsende Teil der Bevölkerung schätzt Erhol- und Verweilplätze in zentraler Lage zum Sehen und Gesehen werden.
Centermanager haben bereits auf diesen Trend reagiert und den Flächenanteil für Gastronomie in ihren Einkaufstempeln deutlich erhöht. Konnte man anfangs noch auf nur etwa 5 % der Centerfläche Kuchen, Kekse und Currywurst konsumieren, so werden dafür inzwischen zweistellige Prozent-Quoten vorgehalten.
In den innerstädtischen Fußgängerzonen folgt man diesem Trend. Kaum ein Discountbäcker, der nicht inzwischen auch Sitzplätze anbietet, kein italienischer Eistresen, der nicht mit polierten Alutischen zum Verweilen einlädt. Und möglichst alles draußen, was durch die Klimaerwärmung im Allgemeinen und notfalls auch mit winterlich betriebenen Gas-Heizpilzen im Besonderen noch unterstützt wird.
Für die Kundenfrequenz hat die Gastrofizierung der Fußgängerzone gravierende Folgen. Der Passantenlauf wird mit der ständig wachsenden Anzahl von Tischen, Stühlen und Bänken von den Ladenlokalen weggeführt.
Im Extremfall hat ein Einzelhändler, der schlimmstenfalls beidseitig von Eiscafes oder Bistros umgeben ist, gar keinen Lauf mehr vor seiner Schaufensterfront mit der Folge, dass die Kundschaft wegbleibt.
Vor allem Städte mit großen Lücken im Mietbestand der Fußgängerzonen, die touristisch jedoch über eine vergleichsweise hohe Attraktivität verfügen, können in die Falle einer überbordenden Gastrofizierung laufen.
Was kurzfristig als Lösung erscheint, kann auf lange Sicht hin jedoch der Beginn einer Negativ-Entwicklung sein, die den noch verbliebenen Handel mittelfristig aus der ehemaligen 1A-Lage endgültig hinaustreibt.
Besser wäre es, an der bisherigen, oft praktizierten Bündelung von Gastronomiebetrieben, z.B. an größeren Plätzen, festzuhalten und einer punktuellen Ausweitung hinein in die traditionellen Handelslagen entgegenzuwirken.
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass auch Immobilien in 1A-Lagen keine Selbstläufer sein müssen. Wenn sich Passantenströme aufgrund von Leerständen in der unmittelbaren Nachbarschaft oder auch wegen neuer Centerprojekte verändern, dann hat das auch immer Einfluss auf den erzielbaren Mietpreis und damit auf den Wert einer Immobilie.
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