Einkaufscenter in Klein- und Mittelstädten - Das potenzielle Einzugsgebiet als große Unbekannte
Als die Stadtgalerie im 58.000 Einwohner (EW) zählenden Hameln im März 2008 ihre Pforten öffnete, überwog die Freude über einen neuen Einkaufsmagneten im Herzen der Innenstadt.
Genau ein Jahr später ist in der „Rattenfängerstadt“ breite Ernüchterung eingetreten. Mehrere Geschäfte in ehemals bester Citylage stehen mittlerweile leer und wo früher einmal der Textilfilialist New Yorker um die kaufkräftige Jugend warb, hat ein Autohaus aus der Not eine Tugend gemacht und bietet dort seine Produkte aus Schwedenstahl an.
So weit kann es kommen…
Die Diskussion um Einkaufscenter schien sich in den vergangenen Jahren etwas beruhigt zu haben. Zu stark war der Druck des Einzelhandels auf viele Städte, die Anzahl an ausreichend großen Ladenlokalen zu erhöhen und damit gleichzeitig den teilweise drastischen Mietpreissteigerungen in einigen Großstädten entgegenzuwirken.
An solchen Standorten war dann genügend Nachfrage da, um ein neues Einkaufscenter mit 30.000 qm und mehr Verkaufsfläche problemlos zu füllen. Diskutiert wurde allenfalls noch über den Ort der Neuansiedlung, nachdem die sog. Grüne Wiese außerhalb der Innenstadt ihre Fürsprecher verloren hatte.
Inzwischen sind die Center „in der Stadt angekommen“ und scheinen dabei die traditionellen Laufmeilen sogar aufgewertet zu haben. So jedenfalls beschreibt der Marktführer ECE den Eindruck, den die Leverkusener Kommunalpolitiker bei ihrer Anfrage an 11 andere Oberbürgermeister gewonnen haben, bevor sie sich für die eigene Innenstadtgalerie mit knapp 23.000 qm Verkaufsfläche entschieden haben.
Unruhe bei neuen Einkaufszentren: Win-win Situation?
Früher wie heute bieten potenzielle Investoren bei der Suche nach geeigneten Standorten an, im Zuge eines neuen Centerprojektes lokal vorhandene kommunalpolitische Sorgen zu beseitigen oder städtebauliche Probleme zu lösen.
In Braunschweig hat man den Wunsch nach einem Wiederaufbau des alten Welfenschlosses aufgegriffen und mit viel Liebe zum Detail hinter neu aufgebauter historischer Sandsteinfassade rund 30.000 qm Shoppingfläche versteckt. In Münster wollte man Mitte der 90er Jahre für die Stadt sogar ein ganzes Bundesligastadion neu errichten, wenn man als Gegenleistung dafür in der Nachbarschaft hätte ein Center bauen dürfen. Und im südbadischen Weil am Rhein mit rd. 30.000 EW bemüht man sich um den Zuschlag für ein Center mit 27.000 qm, indem man die Teilkostenübernahme einer neuer Straßenbahnschleife in Aussicht stellt.
Häufig sind aber auch nur räumliche Engpässe innerhalb der Stadtverwaltung ausschlaggebend, die dann mit einem neuen Center ganz ohne Investitionszwang für die Kommune beseitigt werden, wie das in der neuen Leverkusener Rathaus-Galerie der Fall ist oder auch im Remscheider Allee-Center, wo die Verwaltung der örtlichen Stadtwerke mit integriert wurde.
Warum entsteht also gerade bei den jüngsten Centerprojekten wieder große Unruhe, wenn doch offensichtlich Win-win-Situationen für alle Beteiligten möglich scheinen?
Nachdem zu Anfang diesen Jahres mit bundesweit 414 Einkaufszentren (ab 10.000 qm aufwärts) schwerpunktmäßig fast alle Großstädte mit neuen Centern überzogen sind, stehen nach dem Motto „Wachse oder weiche!“ zunehmend die verbleibenden Klein- und Mittelstädte im Fokus der Expansionspläne von ECE, MFI & Co.
Größere Einzugsgebiete
Die Kernfrage dabei ist, ob und wie sich Centerplaner an diese neuen Rahmenbedingungen herantasten, wenn das Motto „Think Big“ nicht unbedingt weiter führt.
Bei Klein- und Mittelstädten reichen selbst günstige Kaufkraftkennzahlen mit gleichzeitig hoher Zentralitätsquote nicht aus, wenn diese sich nur auf 50.000-100.000 EW beziehen. Also braucht man größere Einzugsgebiete.
Diese werden auf der Landkarte meist ermittelt, indem man ringförmig um den potenziellen Centerstandort 2 oder 3 Kreisbögen schlägt, die dann die Erreichbarkeit in 5, 15, 30 oder manchmal sogar 45 Minuten Autofahrt ausweisen sollen.
Für das in 1998 eröffnete Degg’s-Center im bayrischen Deggendorf mit selber nur 32.000 EW wurde so ein Einzugsgebiet von 195.000 EW für die dortigen 14.000 qm Verkaufsfläche ermittelt, wobei man modellhaft zwei Entfernungsringe mit 5 bzw. max.15 minütiger Anfahrtszeit um die Stadt gelegt hat.
Genau 10 Jahre später wurde im benachbarten Straubing (45.000 EW) vom gleichen Betreiber das mit 15.500 qm größere Theresien-Center eröffnet, bei dem nun 3 Anreisezonen als fiktives Einzugsgebiet zugrunde gelegt werden.
Nur mit dieser „erweiterten Potenzialreserve“ (mehr als 15 minütige Anfahrtszeit) verdoppelt sich das fiktive Einzugsgebiet auf nunmehr 222.000 Einwohner.
Dass Deggendorf und Straubing nur etwa 30 km voneinander entfernt liegen und sich zumindest die äußeren Einzugsgebiets-Ringe weitgehend überschneiden, scheint dabei keine Rolle zu spielen.
Ähnliche Schnittmengen sind auch bei anderen Center-Projekten in benachbarten Städten festzustellen.
So wurde z. B. für die Schloss-Arkaden in Braunschweig (Eröffnung März 07) und die Ernst-August-Galerie in Hannover (Okt. 08) mit zusammen 60.000 qm Verkaufsfläche mit den o.g. Ringmodellen jeweils ein eigenständiges Einzugsgebiet (bei bis zu 45 min. Anreise) von 1 Mio. bzw. 1,3 Mio. EW „ermittelt“, obwohl die beiden größten Städte Niedersachsens nur 60 Autobahnkilometer auseinander liegen.
De facto werden mit diesem Planungsansatz die Einwohner der dazwischen liegenden Mittelstädte wie Peine, Wolfenbüttel oder Celle als Frequenz- und Umsatzbringer doppelt zugeordnet.
Wie man dann allerdings auch noch für das vergleichsweise kleine Hameln, das nur etwa 40 km südlich von Hannover liegt, auf weitere 370.000 EW Einzugsgebiet kommt, bleibt wohl nur Insidern vorbehalten.
Die Konsequenzen derartiger Kaufkraftprognosen sind bereits eingangs beschrieben und dürften niemanden wirklich überraschen.
Die Folgen für Klein- und Mittelstädte
Im Gegensatz zu großen Ballungsgebieten, wo sich die Verlagerungen im Einzelhandel nur langsam feststellen und kaum verursachergerecht zuordnen lassen, können unzutreffende Kaufkraftprognosen also gerade in Klein- und Mittelstädten nach der Centereröffnung sehr schnell und konkret zu spürbaren Folgen bei der Innenstadtentwicklung führen.
Das befürchten jedenfalls die Autoren einer „Wirkungsanalyse großer innerstädtischer Einkaufscenter“, die vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) Ende vergangenen Jahres veröffentlicht wurde.
Darin wird abschließend empfohlen, Flächenerweiterungen durch ein Einkaufscenter im moderaten Rahmen zu halten, wenn man größere Umwälzungen in der Struktur des bestehenden Geschäftsbereiches vermeiden will.
„Das bedeutet konkret, dass bei einer durchschnittlich ausgestatteten Innenstadt eine Verkaufsflächenerweiterung um 15 %, bezogen auf die innerstädtische Verkaufsfläche, nicht überschritten werden sollte. Gleichzeitig sollten bei Städten bis 200.000 EW die innerstädtischen Verkaufsflächen im Regelfall um nicht mehr als 15.000 qm ausgeweitet werden, um einer Autarkie des Einkaufscenters vorzubeugen.“
In der Praxis finden sich bislang nur wenige erfolgversprechende Beispiele, wie mit kleineren Centerprojekten versucht wird, negativen Umsatztrends entgegenzuwirken.
In Weinheim an der Bergstraße (44.000 EW) stemmt man sich mit aller Macht gegen den Trading-Down Effekt, der dort ausgelöst wurde, weil das inzwischen auf 60.000 qm erweiterte Rhein-Neckar-Center im 7 km entfernten Viernheim in den vergangenen Jahren einen Großteil der Kaufkraft abgeschöpft hat.
Anfang nächsten Jahres eröffnet dort auf dem Gelände des ehemaligen Birkenmeier-Kaufhauses die Weinheim-Galerie mit „nur“ 9.000 qm und Ankermietern wie C&A, dm-Markt und H&M.
Schon jetzt füllt sich die Fußgängerzone als traditionelle 1-A Lage wieder mit Neuansiedlungen bonitätsstarker Filialisten wie Gerry Weber, Esprit oder Bonita.
Es bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich gelingt, mit diesem neu strukturierten Handelsmix im überschaubaren Rahmen Weinheim wieder als Wohlfühlstadt für Konsumenten zu etablieren und der Abwanderung von Kaufkraft in Richtung Megacenter entgegenzuwirken.
Bislang drängte sich der Verdacht auf, dass die bisherigen Marktführer unter den Centerbetreibern kein betriebswirtschaftliches Interesse an Shopping-Malls haben, die deutlich kleiner als 20.000 qm sind.
Nur hinter vorgehaltener Hand wurde eingeräumt, dass man „im allergrößten Notfall auch mal nur 15.000 qm machen würde“.
Allerdings scheint inzwischen zumindest bei der ECE ein Umdenkprozess stattgefunden zu haben.
Für den attraktiven Einzelhandelsstandort Oldenburg mit 160.000 EW baut man derzeit in zentraler Lage das neue Schloßhöfe-Center mit „nur“ 10.000 qm.
Mit den o.g. Methoden zur Ermittlung des Einzugsgebietes hätte man sicherlich auch eine drei- bis viermal so große Verkaufsfläche rechtfertigen können.
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